Auf nach Nepal?

Zurück in Mumbai muss ich noch ein paar Tage warten, bis mein Auto endlich fertig ist. Die neuen Einspritzdüsen sind inzwischen angekommen und werden gerade noch ausgetauscht. An einem Donnerstagnachmittag kann ich das Auto dann abholen und tatsächlich läuft der Motor jetzt rund!
Ich verschwende also keine Zeit und mache mich direkt auf in Richtung Norden.
Viel zu viel Zeit habe ich ja hier verschwendet und wenn ich nach Nepal möchte, muss ich mich ein bisschen ranhalten.

So fahre ich erstmal die guten vierhundert Kilometer in Richtung Aurangabad.
Die ziehen sich ganz schön, das Auto läuft aber wirklich rund.
Ich freue mich, endlich wieder unabhängig zu sein.

Mitten in der Nacht komme ich in Aurangabad an. Die vom Militär umgebene Stadt hat einiges an Polizeikontrollen, die alle gerne irgendeine Form von Schmiergeld haben möchten. Da lasse ich mich aber nicht drauf ein und diskutiere da so lange gegen, bis die mich durchlassen.

In der Stadt steuere ich zielstrebig das „Zostel“ an, in dem ich ja schon mit Julian und Lisa zusammen war.

 

Den nächsten Tag verbringe ich mit vorbereiten auf längere Fahrten.
Ich räume das Auto auf, installiere Mückengitter hinter den Fenstern, putze und prüfe die ganzen Flüssigkeiten und was man sonst so machen kann.

Am nächsten Tag geht’s dann endlich los.

 

Die nächsten drei Tage verbringe ich ausschließlich mit Fahren. Hierzu mal ein kleiner Ausschnitt vom „wikioverland“, dass das ganz treffend beschreibt:

„India has some of the worst roads in Asia. Due to a lack of maintenance, money disappearing in pockets instead of repairing, combined with heavy truck traffic and heavy rains, roads can be a disaster. Potholes so deep, your whole car can disappear in one. […] The average Indian driver has no feeling for traffic, safety or common sense. Trucks and buses are a real danger and will easily push you off the road if it is to their advantage. The common driver has never had any traffic lesson and will do as they please. Stopping in the middle of the road, just past a sharp and dangerous curve, overtaking without watching traffic ahead, speeding, anyway, you name any dangerous situation and you will find it in India. […]
Watch out for speed bumps in the most unexpected places without any warning. Watch out for slow traffic like rickshaws, oxen carts, bicycles and lots and lots of pedestrians on the road. In India the road is for everyone, not just for cars.
And please, never drive at night!“

Dem hinzufügen kann ich nur noch, dass nachts absolut jeder, immer mit Fernlicht fährt. Gleichzeit hat der Großteil der Fahrzeuge kein Rücklicht oder Reflektoren. Bei schmalen Straßen lautet die generelle Regel „hoffen, dass da nichts im Schatten liegt.“

Tagsüber liegen wirklich überall Kühe auf der Straße rum. Ein nicht kleiner Teil davon tot. Ich habe noch nie so viele Kadaver von Hunden und Kühen gesehen. Die Toten Hunde sind nie weit von den Kühen entfernt, weil die sich wiederum primär von deren Kadavern zu ernähren scheinen.

 

Abgesehen davon passiert eigentlich nicht viel. Das Auto läuft rund, die Klimaanlage kämpft wunderbar gegen die sengende Hitze an und sonst läuft es eigentlich ganz entspannt.

 

Meine Route führt mich über Varanasi bis kurz hinter Gorakhpur. Etwa 20 Kilometer vor der nepalesischen Grenze erwische ich dann ein wirklich tiefes Schlagloch.
Scheiße!
Irgendwas stimmt nicht.
Die Automatik hat Probleme hochzuschalten.
Das Auto fühlt sich träge an.
Ich hatte mal ein ähnliches Problem in Georgien, da war der Keilriemen abgeflogen.
Diesmal funktionieren Servo und Bremsen aber noch einwandfrei, das kann es also nicht sein.
Ich halte an und schaue in den Motorraum, ob ich irgendetwas ungewöhnliches erkenne. Das sieht aber alles so aus, wie es soll.
Fahren wird von Minute zu Minute schwieriger. Ich verdächtige das Automatikgetriebe, schalten ist fast nicht mehr möglich und andere Teile sollten nicht diese Symptome zeigen.
Ich krieche im ersten Gang wieder zurück nach Gorakhpur und schaffe es noch bis zu einer Tankstelle.
Hier ist genug los, dass sich eine kleine Traube um mich bildet und der ein oder andere spricht sogar ein paar Fetzen Englisch.

Ich zeige mein Problem und einer von den Jungs nimmt mich mit seinem Roller mit zu dem Werkstattviertel, das zum Glück ganz in der Nähe ist.
Einer von den Mechanikern kommt mit uns mit zurück zum Auto, guckt sich das kurz an und macht erkennbar, dass der das nicht diagnostizieren kann.

Wir fahren zu dem offiziellen Hyundai-Service-Center und nach einer Weile taucht der Manager, „Vicky“ auf, der richtig englisch sprechen kann.
Endlich. Das erleichtert die ganze Situation enorm!
Ich schildere meine Situation, wir tauschen nummern aus und verbleiben dabei, dass ich morgen bei seiner Werkstatt vorbeischauen kann.
Es ist schon spät. Ich kümmere mich noch um Eine Unterkunft und um Essen, dann falle ich erschöpft ins Bett.

Am kommenden Tag passiert nicht viel. Die Mechaniker hier in Gorakhpur scheinen wohl auch nicht die notwendigen Fertigkeiten zu haben, um das Problem ordentlich zu diagnostizieren.

Vicky rät mir ausdrücklich mein Problem nach Lakhnau zu verlagern. Die Landeshauptstadt von Utter Pradesh, dem Staat in dem ich gerade stecke.
Viel anderes bleibt mir nicht übrig.
Ich gebe Gorakhpur also auf.
Vicky organisiert mir einen Abschleppdienst, der das Auto die 200km nach Lakhnau bringen kann und wir verabschieden uns voneinander.

 

Mitten in der Nacht komme ich in Lakhnau mit dem Abschleppdienst an.
Die Hyundai Werkstatt hier weiß schon bescheid und ich kann das Auto auf deren Hof abstellen.

Eine kurze Taxifahrt später komme ich im „Poshtel“ an, welches bei booking.com solide 9.9/10 Punkten hat.
Vor allem ist das ziemlich in der Nähe der Werkstatt und allein dafür eine gute Adresse.

Nikhil begrüßt mich mit müden Augen, zeigt mir mein Bett in dem wirklich schicken Hostel und ich falle ins Bett.
Der nächste Tag ist Feiertag, so schlafe ich erstmal lange aus und mache genau Garnichts.

 

Die Jungs, denen das Hostel gehört, Nikhil und Suru, sind beide ungefähr in meinem Alter und wirklich nette Menschen! Ich erzähle meine Situation und kriege sofort deren Hilfe angeboten.

Das Hostel ist bemerkenswert sauber, sehr geräumig und offensichtlich komplett neu. Die Gegend ist sehr ruhig und sauber. Sauberer und ruhiger, als irgendein anderer Ort, den ich bisher in Indien besucht habe.

Das alles entspannt meine Situation komplett und verflüchtigt den größten Teil von meinem Frust, der sich in den letzten Tagen angestaut hat.

 

Am nächsten Tag mache ich mich wieder auf in Richtung Werkstatt. Die Hebebühne ist leider zu schwach für mein Auto, also schieben wir das Teil ganz konventionell über den Autograben.

Keine fünf Minuten später bestätigt mir die Werkstatt, was ich schon befürchtet habe. In dem Getriebe ist das ein oder andere Zahnrad gebrochen. Das Getriebeöl schimmert Silber und riecht nach Metall Spahn.

Da lässt sich so schnell überhaupt nichts gegen machen.

Das Auto kann ich leider nicht hier geparkt lassen. Dann lasse ich das halt die drei Kilometer in Richtung Hostel bringen.

 

Ich habe jetzt verschiedene Möglichkeiten, die ich erstmal in Ruhe abwägen muss:
– Gebrauchtes Getriebe auftreiben und einbauen lassen.
– Auto verzollen und hier verkaufen.
– Auto verschrotten.
– Zurückschiffen lassen.

 

Wenn ich das Auto hier reparieren möchte, heißt das ja zwangsläufig, dass ich damit weiterfahre. Nach Myanmar und dann nach Thailand.
Um durch Myanmar zu fahren, muss man unbedingt einen Guide buchen, der das Auto fährt. Außerdem muss für jede Nacht eine Hotelbuchung vorliegen. Das alles muss als Paket über einen, von der Regierung abgesegneten Tourenanbieter gebucht werden.
Ich schaue mich ein bisschen um und schreibe ein paar Anbieter an. Die absolut günstigste Tour liegt etwas unter 1.000 Dollar für fünf Nächte.
Danach wäre ich in Thailand. Hier bekomme ich, vorausgesetzt ich kann alle notwendigen Papiere vorweisen, maximal 30 Tage mit dem Auto.

Außerdem müsste ich vorher erstmal irgendwo ein neues Automatikgetriebe auftreiben.

Die Option kann ich in keiner Weise rechtfertigen. Das würde mich sehr viel Geld und Nerven kosten, die ich mir lieber spare.

Das heißt, ich muss mich von dem Auto trennen.

 

Zurückschiffen ist vermutlich auch teuer, aber würde mir den ganzen Ärger mit dem indischen Zoll ersparen. Da schreibe ich mal zwei Transportunternehmen an, um eine Grobe Preisvorstellung zu bekommen.

 

Als nächstes gehe ich mal eines von den zwei Zollbüros in Lakhnau besuchen, um denen meine Situation zu schildern.
Die Angestellten der ersten Adresse sind zwar sehr nett, können mir aber überhaupt nicht weiterhelfen. Ich frage, ob mir das andere Büro helfen könne, bekomme aber keine so wirkliche Antwort. Die Sprachbarriere ist hier aber auch recht groß, so bin ich erstmal ergebnislos.

Ich melde mich mal beim ADAC und bei dem indischen Automobilclub, um ein paar mehr Infos zu bekommen. Der Konsens ist, dass ich das hier mit dem Zoll aushandeln muss.

Ich werfe noch zwei Mails in Richtung Zollamt und beschließe, erstmal ein paar Tage abzuwarten.

 

In dem Hostel lerne ich Suvra [~shubro] kennen.
Suvra ist den nächsten Monat hier in Lakhnau und hat nicht nur praktischerweise viel zu viel Zeit, sondern auch einen Master in Jura und war einige Zeit als Freelance-Anwalt für irgendwelche Startups in den Staaten gearbeitet.
Gleichzeitig ist der schon fast aufdringlich neugierig und hilfsbereit, was für mich wirklich großes Glück darstellt.

Suvra bietet mir seine Hilfe an, die ich mehr als gerne annehme.

zwei Tage später sitzen wir in dem gleichen Zoll Büro, in dem ich vorher schon war. Diesmal aber ohne Sprachbarriere, Suvra spielt Dolmetscher und erläutert meine Situation nochmal in Hindi.

Das klärt einiges auf. Diese Zweigstelle kann mir zwar nicht helfen, aber das andere Büro in der Stadt ist wohl die richtige Anlaufstelle.

Keine Stunde später sitzen wir auch schon in dem richtigen Büro und können mein Problem schildern.
Auf jeden Fall sind wir an der richtigen Adresse. Die Typen wissen über das Carnet-Abkommen Bescheid und kramen in ihren Unterlagen nach den entsprechenden Regularien.

Wir kommen ein bisschen weiter, sollen aber nach dem Wochenende nochmal kommen – Jetzt ist erstmal Feierabend.

 

So sitzen wir drei Tage später wieder in dem Büro und ich kann endlich die beiden anderen Optionen abwägen.
Am einfachsten sollte es eigentlich sein, wenn ich das Auto hier verzolle und dann hier für billig verscherble.

Wir machen den notwendigen Papierkram dafür fertig und sind schon kurz davor das einzureichen, als uns der Zollbetrag genannt wird:
Ich soll 250% von dem im Carnet eingetragenen Wert des Autos bezahlen. Bei 3.500 € sind das 8.750 €.
Ja.. Nee!

Wir lassen uns den konkreten Auszug aus der Zentralen Zollanleitung zeigen:

Der letzte Abschnitt ist der spannende. Laut dem kann ich das Auto einfach an den Zoll übergeben, ohne dass irgendwelche Kosten für mich entstehen.
Jackpot!
Wir machen die Mitarbeiter darauf aufmerksam und bekommen leicht verwirrte blicke. Das steht da zwar, fällt aber so sehr aus dem Rahmen, dass die das erstmal intern besprechen wollen.

Während die das erledigen, können wir schonmal mehr Papierkram vorbereiten.
Ich brauche ein Affidavit, also einen beglaubigten Eid, dass ich das Auto auch tatsächlich kostenfrei abgeben möchte.

Dafür müssen wir zum High Court von Lakhnau. Angekommen bin ich mal wieder wirklich froh, dass Suvra hier ist, um mir auszuhelfen. Die hätten mich hier allein niemals aufs Gelände gelassen.
Außerdem treffen wir auf einen Werkstudenten, von der gleichen Uni, von der Suvra exmatrikuliert ist. Der nimmt sich uns sofort an und kümmert sich die nächste Stunde um uns und begleitet uns durch das große Gebäude.

Am Ende des Tages haben wir endlich alle Unterlagen fertig. Jetzt müssen wir nur noch auf die Bestätigung vom Zollamt warten, dass die das Auto auch tatsächlich annehmen.

Da das in der Form noch nie passiert ist, eskaliert die Geschichte ziemlich, sodass ich am Ende die Bestätigung vom Head of Customs Mumbai, sowie vom Head of Customs Lakhnau habe.
Damit kann ich das Auto nach fast zwei Wochen Chaos und Papierkram endlich abgeben.

Das Auto ist leer, die Nummernschilder sind abmontiert und gegen billige Kopien ausgetauscht (das wollten die so).

Wir besorgen einen Abschleppdienst, karren das Auto zum Abstellhof und nach ein bisschen mehr Papierkram sehe ich das Auto zum letzten Mal.

Tschau, war schön.

 

Neben dem Auto ist da ja auch der ganze Krempel, der da mal drin und drauf war.
Um den muss ich mich auch kümmern. Ich habe eigentlich nicht vor mit einer 15kg Gasflasche, Campingstühlen und zwanzig Litern Diesel weiterzureisen. Also muss ich reduzieren.

Den Großteil schenke ich einfach dem Hostel. Die Jungs sind echt cool und waren mir bis jetzt schon eine riesige Hilfe. Außerdem ist der Laden erst ein paar Wochen geöffnet und die können zumindest mit dem ganzen Küchenkrempel und den Reinigungsmitteln was anfangen.
Einiges von meinem Campingkram, vor allem die Stühle und der Kocher bleiben auch hier.
Meine Gitarre kaufen die Jungs mir ab. Mein Longboard verschenke ich an Shoshua, einen der Freunde, der skatet und jeden zweiten Abend hier im Hostel rumhängt.
Ein paar Sachen sind mir aber doch zu wertvoll, um sie einfach abzugeben; Und wer will schon gebrauchte Schlafsäcke kaufen.
Etwa 22 Kilo Zeug bleiben übrig, die ich behalten, aber nicht mitnehmen möchte.
300 € kostet ein versichertes Paket, in das alles reinpasst. Ein kleiner Umzugskarton findet also ein paar Tage später seinen Weg nach Deutschland.

Kurz vorher kommt auch das Carnet mit dem Papierkram und allen notwendigen Stempeln wieder in Deutschland an und die 5.000 € Kaution werden auf das Konto von meiner Mutter zurücküberwiesen, die so nett war, die Kaution für mich zu tragen.

Damit ist die Autogeschichte auch schon fast abgeschlossen. Die Nummernschilder und der Fahrzeugschein sind in dem Paket, da kümmert sich dann mein Vater um die Abmeldung in Deutschland.

 

Übrig bleiben mein Wanderrucksack, zwei Tagesrucksäcke und alles was ich so fürs weitere Leben brauche.

Meine Kamera werde ich Thomas mitgeben, der mich in ein paar Wochen in Bangkok besuchen kommt. Die wiegt zu viel. Der Wanderrucksack ist mit 55+15 Litern viel zu groß für das bisschen Zeug, das ich noch hab, der geht auch zurück, zusammen mit Kleinkram, den ich nicht mit der Post verschicken durfte (Messer undso).

 

So.

 

Die nächsten drei Tage verbringe ich mehr oder weniger mit Schlafen. Das waren glaube ich die stressigsten drei Wochen meines Lebens.
Ich bin wirklich froh, dass das Hostel hier so wahnsinnig entspannt ist.

 

Das wars mit dem Auto. ich bleibe noch ein bisschen in Lakhnau und fliege dann nach Thailand. Der Teil bekommt aber einen eigenen Beitrag.